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Grenzüberschreitende Inanspruchnahme medizinischer Dienstleistungen



In der EU wurde das Problem der grenzüberschreitenden Versorgung mit Gesundheitsleistungen schon längst erkannt und vor dem Hintergrund der Freizügigkeits- und Dienstleistungsfreiheit diskutiert. Auf den Normen des Primärrechts ergangene Rechtsprechung wurde mit einem entsprechenden Sekundärrechtsakt kodifiziert und in den Mitgliedstaaten umgesetzt. Daneben wurden die Koordinationsvorschriften zur Bestimmung des anzuwendenden Sozialversicherungsrechts in den grenzüberschreitenden Sachverhalten mit einer allgemein verbindlichen Verordnung vereinheitlicht.

1. EU-Rechtsrahmen
Primärrecht und darauf basierende Rechtsprechung des EuGH (dargestellt bei Fröhlich et al., 2011, S. 20 ff.)
Anspruch Aus Art. 56 AEUV gegenüber dem zuständigen Träger auf genehmigungsfreie grenzüberschreitende ambulante Leistungsbeanspruchung und auf Kostenerstattung nach den Vorschriften über die Leistungsverpflichtungen des zuständigen Trägers.

a. Koordinationsvorschriften
Die Koordinationsverordnung (VO 883/2004/EG) und die dazu gehörige Ausführungsverordnung Nr. 987/2009/EG stellen zwar keine selbständigen Anspruchsgrundlagen zur Verfügung. Sie bestimmen jedoch, aus welchem nationalen Recht die betroffene Person (Versicherter oder seine Familienmitglieder) im Falle der Krankheit (andere Bereiche sind derzeit außer Betracht) ihre Ansprüche ableiten können. Die Anspruchsvoraussetzungen sowie den Anspruchsinhalt bestimmt aber nicht mehr das unionale Recht sondern das nach der Verordnung anzuwendende nationale Recht. Die Verordnung kommt aber erst dann zur Anwendung, wenn es sich um einen Sachverhalt mit der Auslandsberührung handelt. Dies ist dann zu bejahen, wenn
  1. die betroffene Person in einem anderen Mitgliedstaat erwerbstätig ist als sie wohnt oder
  2. sich im zuständigen Mitgliedstaat aufhält oder
  3. sich in einem anderen Mitgliedstaat vorübergehend (als Tourist, Reisender usw.) als dem zuständigen Mitgliedstaat und Wohnsitz aufhält oder
  4. sich in den anderen Mitgliedstaat als der zuständige oder Wohnsitzstaat zur Behandlung begibt.

(1) Grundfall
Im ersten Fall darf die betroffene Person die Gesundheitsleistungen im Wohnsitzstaat auf Kosten der Versicherung aus dem Mitgliedstaat der Erwerbstätigkeit in Anspruch nehmen und zwar in dem Umfang, als ob sie in dem Wohnsitzstaat versichert wäre (Art. 17 VO 883/2004). Maßgeblich ist daher das nationale Recht des Wohnistzstaates. Die Abrechnung für die medizinischen Behandlungsmaßnahmen erfolgt zwischen dem Leistungserbringer und dem Versicherer des Betroffenen. Als Nachweis der Versicherung gilt hier eine Bescheinigung, die vom zuständigen Träger ausgestellt wird. Für die Inanspruchnahme von Leistungen im Wohsitzstaat muss sich der Betroffene noch vorher beim Träger des Wohnorts eintragen lassen (Art. 24 Abs. 1 VO 987/2009). Der Träger ihres Wohnorts ist die Einrichtung oder die Behörde, die nach den Rechtsvorschriften, die für diesen Träger gelten, für die Gewährung der Leistungen an dem Ort zuständig ist, an dem die betreffende Person wohnt oder sich aufhält, oder, wenn es einen solchen Träger nicht gibt, den von der zuständigen Behörde des betreffenden Mitgliedstaats bezeichneten Träger (Art. 1 lit. r) VO 883/2004). Es besteht daher kein richtiges Wahlrecht zwischen den mitgliedstaatlichen Systemen. Somit sollen die Betroffenen nur ein System in Anspruch nehmen und zwar dies das Wohnsitzstaates.

(2) Aufenthalt im zuständigen Mitgliedstaat
Die Betroffenen können die Sachleistungen in ihrem zuständigen Mitgliedstaat (i.d.R. Versicherungsstaat) nur dann in Anspruch nehmen, wenn sie sich dort aufhalten (Art. 18 VO 883/2004). Dies schließt aber nicht den Fall der Reise zur Behandlung in den zuständigen Staat mit ein. Dies ist teilweise mit der gängigen Praxis auf der deutsch-polnischen Grenze nicht ganz zu vereinbaren. Dort entscheiden sich viele in Polen wohnende aber in Deutschland wegen Erwerbstätigkeit versicherte Personen für die Nutzung des ärztlichen Angebotes in Deutschland. Dies wird zum einen dadurch bedingt, dass die deutschen Arbeitgeber nur die vom in Deutschland niederlassenen Arzt ausgestellten Arbeitsfreistellung beachten. Zum anderen gehen viele polnische Bürger davon aus, dass die Qualität der ärztlichen Dienstleistungen in Deutschland höher ist als in Polen.

(3) Aufenthalt außerhalb des zuständigen Mitgliedstaats
Die Personen aus dem Grenzgebiet, die nur in einem und demselben Mitgliedstaat wohnen und versichert sind, können die Leistungen aus dem anderen - benachbarten - Mitgliedstaat in Anspruch nehmen, wenn sie sich dort vorübergehend aufhalten (Art. 19 VO 883/2004). Es handelt ich hier um akute Behandlungsfälle (Unfälle), die auf dem Territorium des Behandlungsstaates notwendig erwiesen haben (für Touristen, Studierende, Geschäftsreisende usw.). Die Formulierung von Art. 19 Abs. 1 VO 883/2004 schließt daher eindeutig die Fälle aus, in denen der Patient aus dem Krankenhaus in einem Staat notfalls in das Krankenhaus in dem anderen Staat überführt wird (da z.B. die medizinische Ausstattung der ersten Einrichtung nicht ausreichend war und die Beförderung zum anderen Krankenhaus in demselben Staat wegen des Zustandes des Patienten nicht zumutbar war). Im Behandlungsstaat kann die betroffene Person die Sachleistungen bekommen, die medizinisch notwendig sind, wobei die Art der Leistungen und die voraussichtliche Dauer des Aufenthalts zu berücksichtigen sind. Diese Leistungen werden für Rechnung des zuständigen Trägers erbracht. Die Leistungen sind dann notwendig, wenn der Versicherte nicht vorzeitig in den zuständigen Mitgliedstaat zurückkehren muss, um die erforderlichen medizinischen Leistungen zu erhalten (Art. 25 (3) VO 987/2004).
Hierfür hat der Versicherte ein von dem zuständigen Träger ausgestelltes Dokument vor, das seinen Sachleistungsanspruch bescheinigt, vorzulegen (Art. 25 A. (1) VO 987/2009).

(4) Reisen zur Inanspruchnahme von Sachleistungen
Die Einwohner des Grenzgebietes dürfen in einen anderen Mitgliedstaat reisen, um dort die Sachleistungen zu erhalten, wenn dies ihm vom zuständigen Träger genehmigt wurde (Art. 20 VO 883/2004). Hier kommen noch die Vorschriften der Patientenmobilitätsrichtlinie in Konkurrenz. Der Patient darf wählen, ob er sich auf die Koordinationsverordnung oder auf die nationalen Vorschriften, die der Umsetzung der Richtlinie dienen, beruft. Nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 VO 883/2004 darf die Genehmigung nicht versagt werden, wenn die betreffende Behandlung Teil der Leistungen ist, die nach den Rechtsvorschriften des Wohnstaats der betreffenden Person vorgesehen sind, und ihr diese Behandlung nicht innerhalb eines in Anbetracht ihres derzeitigen Gesundheitszustands und des voraussichtlichen Verlaufs ihrer Krankheit medizinisch vertretbaren Zeitraums gewährt werden kann.

(5) Zwischenergebnis
Somit geben die Koordinationsvorschriften den Einwohner des Grenzgebietes keine besonderen Rechte bezüglich der Nutzung der Gesundheitseinrichtungen in dem Nachbarstaat. Sie können dortigen Sachleistungen nur dann in Anspruch nehmen, wenn sie sich gerade in diesem Nachbarstaat aufhalten oder aufgrund der Genehmigung des zuständigen Trägers dort reisen, um Sachleistungen auf dessen Kosten zu erhalten. Diese Grundsätze gelten sowohl für die Grenzgänger als auch für diejenigen Personen, die nur in einem Staat wohnen und versichert sind. Ein Wahlrecht zwischen den Systemen der Gesundheitsfürsorge ist nicht ersichtlich.

b. Patientenmobilitätsrichtlinie
Im Falle geplanter Inanspruchnahme von medizinischen Dienstleistungen in einem anderen Mitgliedstaat sind auch die Regelungen der Patientenmobilitätsreichtlinie Nr. 2011/24/EU) sowie sie umsetzende nationale Vorschriften zu beachten. Nach dem ErG Nr. 30 der RL 2011/24/EU ist entweder die Richtlinie oder aber die Verordnungen der Union zur Koordinierung der Sozialversicherungssysteme anwendbar.
Der Unterschied besteht dahingehend, dass die VO auf die Sachleistungen ausgerichtet ist. Dagegen geht es bei der Richtlinie und ihren Umsetzungsvorschriften um die Kostenerstattung. Des Weiteren gilt die Richtlinie nur für die Fälle, wenn der Patient sich zum Zeitpunkt der Inanspruchnahme der Leistungen (noch) nicht im Behandlungsstaat befindet (Bieback in FuchsEuSR, 2013, RL 20122/24/EU Art. 1 Rn. 3).
Diese wurden in Polen und in Deutschland in nationales Recht umgesetzt, sodass nach Ablauf der Umsetzungsfrist die Vorschriften des jeweiligen Mitgliedstaates zu prüfen sind. Aus der Richtlinie selbst folgt aber, dass sie nicht zum zweck hat, die Patienten zur grenzüberschreitenden Inanspruchnahme von medizinischen Dienstleistungen zu motivieren.

c. Fazit
Das unionale Recht schafft daher keine besonderen Rechtsgrundlagen, die den Einwohnern des Grenzgebietes erlauben würden, das ärztliche Angebot in dem Nachbarstaat in Anspruch zu nehmen.

2. Nationaler Rechtsrahmen
Zu prüfen ist daher, welche Möglichkeiten das nationale Recht anbietet.

a. Deutschland
Mehr dazu: Jakob/Neuweiler/Wetter in: Odendahl/Tschudi/Faller (Hrsg.), Grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Gesundheitswesen, 2010, S. 155-224
Das Bundesministerium für Gesundheit vertritt die Ansicht, dass deutsches Recht die Anforderungen der Richtlinie erfüllt und damit keine grundsätzlichen Rechtsänderungen notwendig waren (BMG, Nr. 2).
Für die in Deutschland versicherten Personen, die Gesundheitsleistungen im Ausland in Anspruch nehmen wollen, sind § 13 Abs. 4 und 5 SGB V maßgeblich. Hier wird zwischen der ambulanten und stationären Leistungen unterschieden. Im ersten Fall werden dem Versicherten die Kosten der medizinischen Leistung erstattet, soweit auch ein ein originärer Leistungsanspruch im Inland besteht. Dagegen dürfen Krankenhausleistungen nach Abs. 5 nur nach vorheriger Genehmigung durch die zuständigen Träger (Krankenkassen) in Anspruch genommen werden ((Becker/Kingreen, SGB V, SGB V § 13 Rn. 46, beck-online).

b. Polen
In Polen erfolgte die Umsetzung der Patientenmobilitätsrichtlinie in Art. 42a ff. des Gesetzes über die Leistungen der Gesundheitsvorsorge (Ustawa z dnia 27 sierpnia 2004 r. o świadczeniach opieki zdrowotnej finansowanych ze środków publicznych). Nach Art. 42b Abs. 1 ist der Leistungsempfänger berechtigt, die Kosten der Leistung im Ausland zurückerstattet zu bekommen, wenn es sich um garantierte Leistungen handelt. Eine Vorabgenehmigung wird nur in den in Art. 42 Abs. 9 genannten Fällen gefordert. Der Katalog von genehmigungspflichtigen Leistungen wurde vom Gesundheitsminister in einer Rechtsverordnung bestimmt (Art. 42e Abs. 1).

c. Kooperation von Krankenkassen mit ausländischen Leistungserbringern
Ferner ist noch die Konstellation möglich, dass die inländischen Versicherungsstellen (Krankenkassen, Nationaler Gesundheitsfonds (NFZ)) mit den ausländischen Leistungserbringern (Ärzten, Krankenhäusern usw.) direkt Verträge zur Behandlung eigener Versicherten abschließen. Im deutschen Recht ergibt sich die Rechtsgrundlage dafür aus § 140e SGB V. Dagegen unterscheidet polnisches Recht nicht zwischen in- und ausländischen Leistungserbringern (Art. 132 ff. und Art. 5 Nr. 41 (Begriff des Dienstleistungserbringers) des Gesetzes über Leistungen der Gesundheitsvorsorge). Es sind keiner Gründe ersichtlich, aus denen ein Verbot für das Kontrahieren mit den ausländischen Erbringern von medizinischen Dienstleistungen folgen sollte.
Wird ein direkter Vertrag mit einem ausländischen Leistungserbringer geschlossen, können die im Vertrag bestimmten Personen die Leistungen im Ausland in Anspruch nehmen.
Die Leistungen sollen dann nach dem Recht und gemäß den Standards erbracht werden, die am Ort der Leistungserbringung gelten, es sei denn, dass im Vertrag anderes bestimmt wurde. Werden die Fragen der Haftung für Behandlungsfehler vertraglich nicht gelöst, finden die allgemeinen Vorschriften Anwendung. Diese sollen nach den Kollisionsvorschriften der Rom II-VO ermittelt werden.

3. Völkerrecht
Vollständigkeitshalber ist auf die deutsch-polnische Abkommen von 1975 und 1990 einzugehen. Das Abkommen vom 9. Oktober 1975 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen über Renten- und Unfallversicherung nebst der Vereinbarung hierzu vom 9. Oktober 1975 (BGBl. 1976 II S. 393; Dz.U. z 1976r. nr 16, poz. 101) bezieht sich auf Renten- und Unfallsversicherung. Dagegen betrifft das Abkommen von 1990 im Allgemeinen die Soziale Sicherheit (BGBl. 1991 II S. 743 und DzU z 1991r. nr 108, poz. 468). Dies erfasst auch die Sach- und Geldleistungen wegen Krankheit
Im Rahmen ihres Geltungsbereichs tritt die VO 883/2004 an die Stelle aller zwischen den Mitgliedstaaten geltenden Abkommen über soziale Sicherheit. Einzelne Bestimmungen von Abkommen über soziale Sicherheit, die von den Mitgliedstaaten vor dem Beginn der Anwendung dieser Verordnung geschlossen wurden, gelten jedoch fort, sofern sie für die Berechtigten günstiger sind oder sich aus besonderen historischen Umständen ergeben und ihre Geltung zeitlich begrenzt ist (Art. 8 Abs. 1 S. 1-2 VO 883/2004).
Nach Anhang II haben beide deutsch-polnische Abkommen geringe Bedeutung. Abkommen vom 9. Oktober 1975 über Renten- und Unfallversicherung gilt unter den in Artikel 27 Absätze 2 bis 4 des Abkommens über soziale Sicherheit vom 8. Dezember 1990 festgelegten Bedingungen (dh. in Bezug auf die Beibehaltung des Rechtsstatus auf der Grundlage des Abkommens von 1975 der Personen, die vor dem 1. Januar 1991 ihren Wohnsitz auf dem Hoheitsgebiet Deutschlands oder Polens genommen hatten und weiterhin dort ansässig sind). Artikel 27 Absatz 5 und Artikel 28 Absatz 2 des Abkommens über soziale Sicherheit vom 8. Dezember 1990 gelten hingegen hinsichtlich der Beibehaltung der Berechtigung zu einer Rente, die gemäß dem zwischen der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik und Polen 1957 geschlossenen Abkommen ausbezahlt wird; Anrechnung von Versicherungszeiten, die von polnischen Arbeitnehmern im Rahmen des 1988 zwischen der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik und Polen geschlossenen Abkommens zurückgelegt wurden.
Zur Anwendbarkei des SozSichAbk POL und der damaligen VO 1408/71 sh. Urteil des EuGH vom 16.5.2013, Rs. C‑589/10 (Janina Wencel gegen Zakład Ubezpieczeń Społecznych w Białymstoku), ECLI:EU:C:2013:303); Literatur: Deutsche Rentenversicherung

Somit haben beide Abkommen vor dem EU-rechtlichen Hintergrund beschränkte Bedeutung.


A. Möglichkeiten der grenzüberschreitenden Gesundheitsvorsorge
Nunmehr ist zu prüfen, welche Möglichkeiten aus den oben dargestellten Regelungen für die Einwohner von Grenzgebieten resultieren. Insbesondere wird geschaut, welche Chancen für eine gemeinsame Gesundheitsfürsorge vor dem Hintergrund bestehen. Es ist klar, dass die genannten Regelungen keine systemische Zusammenarbeit von Gesundheitseinrichtungen zum Gegenstand haben. Es handelt sich um die Bestimmung des anzuwendenden Rechts bzw. Begründung von Erstattungsansprüchen für die Einzelpersonen.
Modelle: Jakob/Neuweiler/Wetter in: Odendahl/Tschudi/Faller (Hrsg.), Grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Gesundheitswesen, 2010, S. 162.


1. Situation de lege lata
Aufgrund von bestehenden Regelungen ist daher nicht möglich, dass alle Einwohner der Grenzgebietes eines Mitgliedstaates in dem anderen Mitgliedstaat behandelt werden. Die Inanspruchnahme von ausländischen Leistungen ist daher nur unter dem Grundsatz der Kostenrückerstattung nach nationalen Vorschriften zur Umsetzung der Patientenmobilitätsrichtlinie möglich aber nur auf ambulante Leistungen beschränkt. Die Inanspruchnahme von Krankenhausleistungen in dem benachbarten Mitgliedstaat erfordert dagegen die Vorabgenehmigung des zuständigen Trägers.

2. Modelle der Zusammenarbeit
Möglich wäre die Errichtung einer gemeinsamen Gesundheitseinrichtung (Krankenhaus, Klinikum), in welcher die hilfebedürftigen Personen behandelt wären. Denkbare Konstellationen:
  1. eine gemeinsame Einrichtung in einem Mitgliedstaat,
  2. Nutzung einer mitgliedstaatlichen Einrichtung durch Einwohner aus dem benachbarten Mitgliedstaat.
a. Allgemeine Anmerkungen
Artikel 34 (1) Die Vertragsparteien fördern eine umfassende Zusammenarbeit auf bestimmten Gebieten der Gesundheitsvorsorge und bei der gemeinsamen Bekämpfung von Seuchen sowie Krankheiten, wie zum Beispiel Herz-, Kreislauf- und Krebserkrankungen und Aids.
Diese Lösungen wären umsetzbar, wenn die betroffenen Mitgliedstaaten entsprechende völkerrechtliche Verträge unterzeichnen (vgl. Rahmenabkommen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Französischen Republik über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Gesundheitsbereich vom 22.7.2005 BGBl. II 2006, 1330). Für den deutsch-polnischen Grenzraum könnte Art. 34 Abs. 1 des Nachbarschaftsvertrages von 1991 Ausgangspunkt sein.
Nach Art 6 lit. a) AEUV besitzt die EU Kompetenzen für Maßnahmen zur Unterstützung, Koordinierung oder Ergänzung der Maßnahmen der Mitgliedstaaten im Bereich "Schutz und Verbesserung der menschlichen Gesundheit". Diese wurden in Art, 168 AEUV konkretisiert. Dort wurde der EU u.a. die Aufgabe übertragen, die Komplementarität der mitgliedstaatlichen Gesundheitsdienste in den Grenzgebieten zu verbessern (GHN/Nettesheim AEUV Art. 6 Rn. 21, beck-online). Hierzu gehört insbesondere die Kooperation zwischen stationären Versorgungseinrichtungen in den Grenzgebieten und die Zusammenarbeit von Rettungskräften sowie doe Förderung des grenzüberschreitenden Abschlusses von Vereinbarungen zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern (Calliess/Ruffert/Kingreen AEUV Art. 168 Rn. 13, beck-online). Als legislative Instrumente zur Umsetzung dieser Befugnisse gelten die - an sich unverbindlichen - Empfehlungen – sowie die Fördermaßnahmen im Sinne von Art. 168 Abs. 5 AEUV (Schwarze/Becker/Hatje/Schoo, EU-Kommentar, AEUV Art. 168 Rn. 18, beck-online).

b. Schaffung einer Gemeinsameneinrichtung
Die gemeinsame Einrichtung könnte entweder in einer nationalen Rechtsform oder einer unionsrechtlichen Form errichtet werden.

(1) Nationale Rechtsformen
In Deutschland werden die Krankenhäuser entweder in öffentlich-rechtlicher Form (rechtlich unselbständig: Regiebetrieb, Eigenbetrieb oder rechtlich selbstständig: Zweckverband, Anstalt, Stiftung) bzw. in privatrechtlicher Rechtsform (z.B. GmbH) geführt. In Polen dürfen die Gesundheitseinrichtungen (podmioty lecznicze) als Kapitalgesellschaften, selbständige öffentliche Gesundheitsanstalten (SPZOZ), Eigenbetriebe oder Militäreinheiten gegründet werden (Art. 6 und 7 des Gesetzes über Tätigkeit im Gesundheitswesen). Die Gründung einer gemeinsamen öffentlichen Einrichtung in einer Privatrechtsform (AG, GmbH) wird nach den am Sitz der Einrichtung geltenden Regelungen erfolgen.
Problematisch wäre die Beteiligung von ausländischen Partnern an Eigenbetrieben oder Regiebetriebe, weil diese aus Natur der Sache der Verwaltung einer Gebietskörperschaft einverleibt sind. Dagegen soll die Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft nach den allgemeinen Regeln erfolgen, was die Gründung wesentlich vereinfacht. Diese Rechtsformen sind auch weitgehend erprobt.

(2) Europäische Aktiengesellschaft
Denkbar wäre auch die Nutzung der Rechtsform der europäischen Gesellschaft (Societas Europaea) im Sinne der Verordnung Nr. 2157/2001/EG über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE) vom 8. Oktober 2001 (ABl. L 294 vom 10.11.2001, S. 1–21). Der Vorteil dieser Rechtsform ist, dass sie europaweit anerkannt ist und ihr Sitz frei verlegt werden kann. Allerdings erfordert diese Rechtsform größeres Engagement von Gesellschaftern (Gründungskapital 120.000 €).

(3) EVTZ
Gemeinsame Einrichtung im Bereich des Gesundheitswesens kann auch als Europäischer Verbund für territoriale Zusammenarbeit errichtet werden (allgemein zum EVTZ). Ein Beispiel dafür ist l'AECT - Hospital de Cerdanya. Als Variante für die gemeinsame Gesundheitseinrichtung wurde der EVTZ auch im Projekt healtacross überlegt (healthacross Report II. Machbarkeitsstudie zur grenzüberschreitenden stationären und ambulanten Zusammenarbeit im Raum Gmünd – Cˇeské Velenice, 2010, S. 47 ff)).
Mehr dazu in separatem Text.

c. gemeinsame Nutzung einer mitgliedstaatlichen Gesundheitseinrichtung
Vgl. hierzu Art. 6 RahmenÜbk FR-DE: Abs. 2: Ist eine vorherige Genehmigung erforderlich, um im Grenzgebiet eine Behandlung in Anspruch zu nehmen, so können die Kooperationsvereinbarungen im Gesundheitsbereich vorsehen, dass diese Genehmigung automatisch vom zuständigen Sozialversicherungsträger ausgestellt wird.
Anstelle der Gründung einer gemeinsamen Einrichtung ist noch die Nutzung einer in einem Mitgliedstaat bereits bestehenden Einrichtung durch Einwohner aus dem anderen Grenzgebiet. Aus den oben dargelegten Regelungen folgt aber keine Rechtsgrundlage für eine massive grenzüberschreitende Inanspruchnahme medizinischer Dienstleistungen in einem anderen Mitgliedstaat.
Hierfür müssten daher systemische Grundlagen errichtet werden. Denkbar ist, dass die zuständigen Träger eine generelle Genehmigung für die Nutzung des Angebotes eines ausländischen Krankenhauses für die Einwohner der grenznahen Gebietskörperschaft erlassen (im Sinne von Art. 20 VO 883/2004/EG), wie dies in Art. 6 des RahmenÜbk zwischen Frankreich und Deutschland vorgesehen wurde. Dies setzt den Abschluss eines völkerrechtlichen Vertrages zwischen betroffenen Mitgliedstaaten. Aus dem zurzeit zwischen Deutschland und Polen bestehenden Vertragswerken folgt keine solche Verpflichtung für automatische Erteilung von Genehmigungen. Insbesondere kann eine solche nicht aus dem Rahmenabkommen zum grenzüberschreitenden Rettungsdienst abgeleitet werden, da hiervon nur der Einsatz von Rettungseinheiten und gegenseitige Abrechnung von Trägern erfasst wird. Ziel des Abkommens ist bestmögliche rettungsdienstliche Versorgung aller Personen, die sich ständig oder vorübergehend in diesem Gebiet aufhalten. Darüber hinaus verweist Art. 8 Abs. 2 Rahmenabkommens darauf, dass die Bestimmungen der Koordinationsverordnungen der EU unberührt bleiben. Auch die aufgrund des Rahmenabkommens zu schließenden Kooperationsvereinbarungen (Art. 4 Rahmenabkommens) beziehen sich nicht auf die Fragen des regulären Gesundheitsschutzes.
Solange aber kein völkerrechtlicher Vertrag zwischen Deutschland und Polen zustande gekommen ist, kann aber die Versorgung der Bevölkerung aus dem Grenzgebiet des anderen Mitgliedstaates über den direkten Vertrag zwischen dem Träger der Krankenversicherung und der Gesundheitseinrichtung als ausländischem Leistungserbringer (nach § 140e SGB V bzw. Art. 132 des polnischen Gesetzes über Leistungen des Gesundheitsschutzes) erfolgen.

3. Sonstige Rechtsfragen
Zu klären wären noch die Fragen des Behandlungsverfahrens (nach dem Recht des Behandlungsstaates), Dokumentation (Sprache, Inhalt), Meldepflichten bei bestimmten Krankheiten, Besorgung von Arzneimitteln aus dem Ausland (insb. Blutprodukte), Vergabeverfahren, Datenschutz.

B. Fazit




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